Bernd Minnich

1941 Hamburg - 1993 Düsseldorf

 

Bernd Minnichs Entdeckung der Farbe als alleinigem Bedeutungsträger ist erst jüngeren Datums, seine Malerei wird allerdings fundiert durch eine künstlerische Arbeit im Gebiet der Plastik und Installation, die in den 60er Jahren den Anfang nahm. So war Minnich u.a. Teilnehmer der documenta V 1972. Minnich, der seit mehr als zwanzig Jahren in Düsseldorf lebt, an der hiesigen Akademie nicht nur studiert, sondern auch gelehrt hat, berichtet von einer Zeit, in den 70er Jahren, als es in Kreisen vermeintlich avantgardistischer Künstler verpönt war zu malen: die Malerei galt als historisch schlicht abgewirtschaftet.

Nun, Minnich hat auch damals immer wieder gemalt, sozusagen im Modus der Heimlichkeit, wie überhaupt festzustellen ist, dass seine Arbeit auch heute durch eine stille, nachhaltige Subversivität gekennzeichnet ist. In einer Zeit, wo man offiziell wieder malen darf - aber dann doch wiederum nur, um die Unmöglichkeit von Malerei zu thematisieren: nämlich in ihrem hergebrachten Sinn als eine Weise individuellen Ausdrucks mit dem Ziel, durch das Bild eine dialogfähige Totalität zu schaffen, die sich zunächst und vor allem an unsere visuelle Wahrnehmungsfähigkeit richtet.

In dieser Situation also berufen sich Minnichs Bilder nachdrücklich auf die besondere Erscheinungshaftigkeit, die der Malerei als Medium eignen kann. Weiter gründen seine Bilder in einer offensichtlich ganz persönlich bestimmten Schönheitsvorstellung, wobei diese Vorstellungen durch die Matrix der Harmonie und der Stimmigkeit gekennzeichnet sind – auch dies, legt man gängige Kriterien an, ein Anachronismus. Schließlich beruht seine Malerei auf der Aktivierung einer bestimmten Vorstellung von Natur als eines Imaginationspotentials.

Minnichs persönlicher Interessenhorizont ist durch die Felder der Geographie, Biologie und der Geologie mitbestimmt, und so haben Fotografien wie diese, die er den Katalogen seiner Bilder regelmäßig mitgibt, durchaus programmatischen Charakter: es geht um eine spezifische sanft-intensive Farbigkeit und um die unabsehbare Wandlungsfähigkeit natürlicher Formen, sozusagen Prozessqualität als ihr inneres Prinzip. Minnich vertraut also mit seiner Thematisierung der Natur auf die Tragfähigkeit einer Bindung sinnlicher Erscheinung an eine innere Wirklichkeit auch dies heute keineswegs mehr selbstverständlich. Dieser Bezug auf bestimmte Aspekte naturhafter Wirklichkeit, ihre grundsätzliche Wandelbarkeit, genauso tief reichend wie subtil still, auch ein gewisser Exotismus als Fond einer besonderen Poesie dies verbindet Minnichs Arbeiten seit den späten sechziger Jahren unabhängig vom jeweiligen Medium, in dem sie sich äußern.

Der Totalitätsanspruch dieser Malerei wird beim Betreten einer Ausstellung von Minnich eigentlich immer unmittelbar einsichtig. Minnich zeigte 1990 im Westfälischen Kunstverein Münster eine Ausstellung, in der sich die Bildtafeln, vereinheitlicht durch ihr identisches Höhenmaß, wie ein Fries um die Wände des Ausstellungsraumes zogen, der so als Ganzer in eine Erscheinung der Farbe verwandelt wurde. Grundsätzlich stellt Minnich für seine Ausstellungen nicht eine Reihe bereits länger fertiggestellter Arbeiten zusammen, sondern für die konkrete Ausstellungssituation werden jeweils Bilder neu geschaffen. Mit diesen entfaltet er ein doppeltes Anliegen, zum einen wird systematisch das von ihm favorisierte Vokabular der Bildfarben ausdifferenziert und genauso wird versucht, durch vielfältige Korrespondenzen der Farbe und der Formen die Trennung zwischen den einzelnen Bildtafeln aufzuheben, zu Gunsten einer allein visuell bestimmten Ganzheit.

Beim Gang durch eine seiner Ausstellungen erschließt sich zu aller erst wohl die tonale Vereinheitlichung dieser Malerei. Minnich versucht keineswegs, eine Vielzahl der Möglichkeiten des farbigen Spektrums zur Anschauung zu bringen, sondern beschränkt sich auf wenige Grundfarben, vor allem Gelb und Rot. Sie bilden die Basis einer Tonskala, die dann durch unterschiedliche Verbindungen ins Orange, ins Grün oder auch in einem rosa Ton weitergetrieben werden.

Minnich stützt sich im Einzelbild weniger auf Kontraste denn auf Modulationen, auf fließende Übergänge zwischen den Polen eines Grundtons. Diese Tendenz der Vereinheitlichung durch Auslotung von Progressionsmöglichkeiten wird auch unterstützt von dem deutlichen Weißanteil aller Farben. Wo dieser fehlt, wie beim Carthaminrosa, wird er durch Verdünnungen erreicht – dabei berühren alle Bildtafeln eine Pastelltonigkeit.

Obwohl allen Bildern grundsätzlich ein Moment der Ruhe eignet, differieren sie doch deutlich im Grad ihrer strukturellen Bewegtheit. Einige Tafeln erscheinen einer fast monochromen Flächigkeit angenähert, die meisten hingegen sind luftig bewegt.

Unwillkürlich sind wir erinnert an das Fliehen von Wolkenformationen am Himmel oder an die dauernd sich wandelnde Spiegelung der Dinge im Gewässer. In ihrer gelassenen Bewegung empfinden wir diese Bildstrukturen nicht allein als abstrakt – malerische Manifestation einer umfassenden Weltempfindung, sondern immer auch in einer virtuellen Nähe zur gegenständlichen Welt.

Unterstützt wird dieser Eindruck auch durch von Minnich bewusst gesuchte kunsthistorische Reminiszenzen.in einem geschichtlichen Rekurs überspringt er die dezidierte Ungegenständlichkeit und sucht seine Anknüpfungspunkte in einer gerade beginnenden Autonomisierung der Farbe, wie sie künstlerisch im neunzehnten Jahrhundert geleistet wurde.

Seine Bilder rufen Erinnerungen heran, an Bilder William Turners, vor allem aber an Monets Seerosenbilder. Mit Monet verbindet Minnich weniger die spezifische Farbigkeit als die Tendenz zu einer begrenzungslosen, verabsolutierten Bewegung.

Er stößt Grenzen auf, die einen nicht mehr empirischen, sondern allein noch imaginativen Raum eröffnen.

Diese Thematisierung einer unabsehbaren Wandlungsfähigkeit im Modus der Farbe zeigt sich auch im perlmutternen Glanz, mit dem Minnich einzelne Passagen seiner Bilder belegt, der sich aber nur ganz bestimmten Betrachterstandpunkten eröffnet, so dass im Abgehen des Bildes grundsätzlich andere Phänomene der Farbe sich zeigen. Wiederum liegt hierin ein Rekurs auf naturhafte Phänomene, sie erinnern beispielsweise an den farbigen Glanz verschiedener Muschelarten.

Dennoch ist Minnich in seiner Malerei nicht naiv, weder in ihren Naturbezügen, ihren historischen Reminiszenzen, noch in der Wohlgestimmtheit der Bilder, der Evokation, einer klassisch- ungebrochenen Schönheitsvorstellung. Ich denke, man kann diese Bilder nicht einfach als einen Augenschmaus begreifen, weil ihnen nämlich bei aller offensichtlichen Sinnlichkeit doch auch eine Reihe von Distanzierungsmomenten zu eigen sind. Da ist ihr Changieren zwischen Glanz und Stumpfheit, das ein bloß beruhigtes Scheinen verhindert. Vielfach auch gibt Minnich den gemalten Flächen weiße Streifen mit, die ober- und unterhalb laufen. Durch diesen Bruch zwischen Farbfläche und dinglichem Bildträger entsteht neben der Malerei auch ein ungegenständliches, sozusagen minimalistisches Muster.

Schließlich ist da auch die Provokation, die diese Malerei zunächst wohl für jeden „professionellen“ Betrachter darstellt. Dass sie nämlich fast ausdrücklich die Frage anspricht - ich formuliere es pointiert -: Darf man heute noch in künstlerischer Tätigkeit so offensichtlich Eins sein mit einer ganz und gar persönlich gefärbten Schönheitsvorstellung? Und darf ich mich als Betrachter einfach daran freuen?

 

Heinz Liesbrock

Mai 1993, Detmold/Münster

 

 

Heinz Liesbrock, geb. 1953, studierte Kunstgeschichte sowie Amerikanistik und Deutsche Literaturwissenschaft in Bochum, Swansea (GB) und Washington, D.C. Er war Leiter des Westfälischen Kunstvereins, Münster (1992–1999) und seit 2003 Direktor des Josef Albers Museum, Bottrop. Seine Ausstellungen und Texte beschäftigen sich häufig mit amerikanischer Kunst, Fotografie und Literatur – von Josef Albers bis Gary Hill, Donald Judd, Edward Hopper, Sol LeWitt, Agnes Martin, Stephen Shore, Ad Reinhardt und Raymond Chandler.